weiterDenken: Gefährliche Entwicklung in den USA
Amerika-Kenner Stephan Bierling spricht bei der Langen Nacht der Demokratie in der MöGy-Turnhalle über das Kopf-an-Kopf-Rennen vor den US-Wahlen.
„Ich habe mit einer guten Flasche Brunello-Wein auf die Demokratin Harris als Siegerin bei den US-Wahlen am 5. November gewettet - und nicht auf Trump“, sagte Professor Dr. Stephan Bierling am Ende seines Vortrags in der voll besetzten Turnhalle des Göppinger Mörike-Gymnasiums und bekam viel Beifall. Der renommierte Politikwissenschaftler und profilierte Kenner des amerikanischen Systems hatte im Rahmen der Langen Nacht der Demokratie in Baden-Württemberg sein ausführliches Referat mit dem Titel „Die Unvereinigten Staaten“ überschrieben, das sich mit den gegenwärtigen Entwicklungen in den USA und der Zukunft der Demokratie samt den Auswirkungen auf Europa beschäftigte. Er unterfütterte seine Aussagen mit Daten, Fakten und Umfrageergebnissen.
„Wir beobachten im Superwahljahr 2024 einen Rechtsruck als Gefahr für die Demokratie“, so Bierling in seinem Vorspann, bevor er vier Fragen detailliert nachging. Die Wahlen am 5. November mache so besonders wichtig, dass es bei einem Sieg von Kamala Harris relativ normal weitergehe, während bei einem Sieg Donald Trumps zentrale demokratische Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und die Integrität von Wahlprozessen auf dem Spiel stünden.
Der Fehler von Politikwissenschaftlern und Presse sei das Denken gewesen, dass Emotionen keine große Rolle spielten, sondern Rationalität gewinne. Trump zeige, dass es in Zeiten von Verunsicherung um Emotionen gehe. Bauchgetrieben und machohaft drehe er alle Schmach wie die verlorenen Gerichtsprozesse um und erkenne Wahlergebnisse nicht an. Viele seiner Anhänger betrachteten ihn wie einen Stammesführer. Als „Kirche Trump“, wie ihn die New York Times nannte, müsse er seine Glaubenssätze und Lügen nur oft genug wiederholen, dann würden sie geglaubt.
Bierling ging in vier Blöcken auf folgende Fragen ein: Warum ist die amerikanische Politik gerade in solchen Turbulenzen? Was sind die Folgen der Polarisierung und der Spaltung der Gesellschaft für die beiden großen Parteien Republikaner und Demokraten? Gibt es Wege aus dieser Polarisierung oder entwickeln sie sich zu Stammesparteien? Inwieweit haben Trump und die Entwicklung in den USA etwas mit uns zu tun und gibt es eine ähnliche Entwicklung in Deutschland wie bei der AfD und dem BSW?
In den USA seien alle Lebensbereiche in zwei parteipolitische Polarisierungen gespalten, was man auch an den Themen Emanzipation, Abtreibung, Waffen, Religion der Klerikalen und Immigration sehen könne. Beide Parteien sortierten sich nach Ideologie, mit inzwischen vorgestanzter Konfrontation. „Das ist das Problematischste und macht das System der Demokratie dysfunktional“, so Bierling. Politiker, die gegen Liberalisierung seien, hätten es als Polarisierung-Unternehmer in die Wähler hineingetragen, weil sie sich von immer radikaleren Positionen größeren Erfolg versprächen.
Neben der Orientierung an Aufreger-Themen sei das Thema Zukunftschancen ein weiterer Spaltungsgrund. Viele, die sich zurückgesetzt fühlten, rebellierten und Trump sei mit Aussagen wie „ihr werdet von den Eliten betrogen“ und „ich führe euch in die gute alte Zeit“ deren Sprachrohr. Dabei mache er Immigranten zu Sündenböcken. Die Wählerklientel des Republikaners Trump seien weiße Wähler ohne Collegeausbildung und in den USA gebe es vor allem Stammwähler.
Beste Lösungen für Probleme gebe es nur bei gemischten Gruppen, die sich mäßigen und Kompromisse eingehen. In den USA sei jedoch eine Entwicklung zu sektenartigen Echokammern zu beobachten. Ideologische Konfrontationsmaschinen führten jedoch zum Tod von Demokratie. Der amerikanische Kongress sei auf Kompromiss angelegt, Trump jedoch versuche, die Stellung des Präsidenten noch weiter auszubauen und Wahlgesetze zu manipulieren. Es mache ihn gefährlich, dass er die Regierung und die Justiz auf seine Person zuschneiden wolle. Die Bundesstaaten hätten sich in den letzten zehn Jahren neu sortiert und die Wahlen würden in den sieben Swingstates entschieden, wo es sich nur um 10 000 Stimmen handeln könnte.
Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von Frau Fischer-Bucher und der NWZ Göppingen zur Verfügung gestellt, wofür wir uns recht herzlich bedanken (Original-Artikel).
Text: Annerose Fischer-Bucher / NWZ
Bilder: Marius Pfleghar
Veröffentlicht: 21.10.2024