Ehekrise, Erziehungsprobleme, Geldsorgen - Die etwas andere Geschichte von Romeo und Julia
Dass Ephraim Kishons satirisches Theaterstück „Es war die Lerche“ nur bedingt an den Zauber, den Shakespeares Drama „Romeo und Julia“ versprüht, anknüpft, lässt sich gleich zu Beginn erahnen, als der rundbäuchige Romeo Rotz- und Schnieflaute von sich gebend nach dem Aufstehen ins Badezimmer watschelt. Kurz darauf verlässt auch Julia das Bett: stark geschminkt, die platinblond gefärbten Locken zur Turmfrisur aufgesteckt und mit einer roten Rose aufgehübscht. Beide sind vom Leben gezeichnet, haben Geldsorgen und kaum Gemeinsamkeiten.
Ihr Ehealltag ist eine Sackgasse: Julia scheint für Momo – wie sie ihren Gatten nennt – lediglich dann von Bedeutung zu sein, wenn es um das Auffinden seiner Socken, das Kaffeekochen oder das Einkaufen von Rettich, seiner Lieblingsspeise, geht. Viel lieber tänzelt Romeo, der als Ballettlehrer sein Geld verdient, mit seiner Wärmflasche Lisa durch die Wohnung, an die er sein Herz verschenkt hat und die er liebevoll umsorgt und liebkost. Die brennende Liebe zu seiner Gemahlin ist erloschen. Ehemalige Liebesschwüre rezitierend muss er feststellen, dass die Vergangenheit und damit auch Julias damaliges Erscheinungsbild Geschichte sind: „Du warst so unbeschreiblich schön – damals.“ Julia dagegen erfüllt ihre Hausfrauentätigkeiten nur noch ansatzweise, die Wohnung sieht verwahrlost aus. Romeo gegenüber zeichnet sie sich durch Einsilbigkeit aus und ergibt sich immer wieder in der verzweifelten Forderung: „Hätten wir nur Personal!“ Und als wären beide nicht schon mit ihrem Dasein überfordert, müssen sie sich auch noch um ihre pubertierende Tochter kümmern: Lucretia versucht sich mit aller Macht von ihren Eltern abzuheben. Sie trägt blau-schwarz gefärbte Haare, zerrissene Hosen und T-Shirts, hochhackige Schuhe und ein Lederhalsband, in der Hand eine Jack-Daniel's-Flasche. Ihre negative Einstellung gegenüber Hausaufgaben und das laute Musikhören lassen ihre Eltern verzweifeln. Der Generationenkonflikt zeichnet sich wiederholt durch lautes Gebrüll vonseiten der Eltern und von Hasstiraden der Tochter ihnen gegenüber aus: „Aber was das Leben wirklich lebenswert macht, davon habt ihr keine Ahnung! Romeo und Julia! Was wisst denn ihr zwei schon von Liebe!“
In eine von diesen Situationen platzt plötzlich der Geist William Shakespeares höchstpersönlich, entsetzt darüber, dass die Zeit aus den Fugen geraten zu sein scheint. Gemeinsam überlegen er, Romeo und Julia, wie es mit dem einstigen Liebespaar nun weitergehen soll. Trotz aller Stilbrüche drängt Shakespeare stets darauf, dass auch ja die geschlossene Form, die Forderung nach Reinheit und die Einheit von Zeit, Ort und Handlung eingehalten werde, wie es für ein klassisches Drama nunmal üblich sei. Sein Ruf dürfe schließlich keinesfalls unter dem chaotischen Eheleben der Familie Montague leiden.
Ironischerweise verliebt sich der große Dichter dabei auf den ersten Blick in Lucretia, was Romeo überhaupt nicht gefällt: Immerhin wollte sein Schöpfer seinen und seiner Ehegattin Tod. Doch Shakespeare lässt sich nichts vorschreiben, immerhin ist er „der Dichter, der bestimmt“. Die Lösung, sein Werk zu vollenden, liegt auf der Hand: Das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur muss erneut dazu gebracht werden zu sterben.
Dreißig Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur auf der Handlungsebene passiert viel, was nichts mehr mit der ersten großen Liebe Romeos und Julias zu tun hat, auch William Shakespeare (oder sein Doppelgänger – wer weiß das schon!) scheint des Öfteren verwirrt, verwechselt Julia mit Ophelia und kann sich nicht mehr erinnern, ob es damals die Lerche oder die Nachtigall war, die die beiden Liebenden haben singen hören. Darüber hinaus werfen der senile Pater Lorenzo und die alte Amme alle möglichen Figuren aus verschiedenen Dramen Shakespeares durcheinander. Die vielen Originalzitate sorgen für ein Nebeneinander mehrerer Sprach- und Stilebenen und führen somit die Komik der Handlung zur Vollendung.
Die von Ephraim Kishon übertrieben konzipierten Charaktere wurden von den Schülerinnen und Schülern der Theater-AG außerordentlich überzeugend verkörpert. Alessandro Parlapiano brillierte als geldgieriger Romeo Montague, Leonie Landrichter in der Rolle der temperamentvoll-zickigen Julia. Unheimlich lässig trat diesem überspannten Paar Paula Neumeister als Lucretia gegenüber. Lea Kupferschmied (Pater Lorenzo) und Lea Jürgens (Julias Amme) bewiesen, dass ältere, tattrige Menschen auch noch durchaus wolllüstig und liebestoll sein können und starteten mehrmals Annäherungsversuche zum jeweils anderen Geschlecht des einstigen Liebespaares. Darüber hinaus spannte Julia Moll als William Shakespeare überaus gelungen den Bogen zwischen verliebtem Teenager und ernsthaftem Dichter, der Romeo und Julia vormacht, wie ein gelungener tragischer Tod auf der Bühne auszusehen hat. Und nicht zu guter Letzt ist Nina Goldmann zu erwähnen, die nicht nur für die Maske, sondern auch für die Anfertigung der Kostüme und das Design der Plakate und Programmhefte zuständig war.