13. 5. 2011 Einweihung Mörike-Gymnasium/ Julia Klumpp/ KLUMPP+KLUMPP Architekten
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Till,
sehr geehrter Herr Rektor Doosry,
sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer, liebe Schülerinnen und Schüler, sehr geehrte Freunde des Mörike-Gymnasiums, sehr geehrte Damen und Herren,
ein Haus ist bloß ein Haus, ein Tisch ist bloß ein Tisch, ein Weinglas ein Weinglas, eine Salatschüssel eine Salatschüssel und eine Linie ist bloß eine Linie. Ob eine Linie allerdings von geradem oder wild-gezacktem Verlauf ist beeinflußt unser Empfinden. Eine gerade Linie empfinden wir bei der Betrachtung als beständig und ruhig, eine gezackte Linie läßt uns Unruhe spüren.
Über Material, Form und Farbe sind wir in der Lage Stimmungen und Erinnerungen aufzunehmen oder sogar Gegenstände unbewußt mit bestimmten menschlichen Charakteren zu verbinden. Weingläser mit Stilen wirken feminin und zart, Wassergläser hingegen wie strenge, stabile Beamte, ein Stuhl mit geschwungener Lehne ist lässig-elegant und dandyhaft, die Spitzbögen der Kathedrale von Bayeux vermitteln Inbrunst und Stabilität, die korinthische Säule mit ihren zahlreichen Verzierungen strahlt die Schönheit und Jugend der Göttin Aphrodite aus und einer wohlgeformten, bauchigen Salatschüssel haften Assoziationen wie Ganzheit, Weiblichkeit und Unendlichkeit an.
Das „Mehr“, das wir in einer Salatschüssel oder an einem Weinglas finden können, suchen wir auch in Gebäuden obwohl Le Corbusier schon 1923 schrieb: „Der Zweck eines Hauses ist es nur, seinen Bewohnern Schutz vor Hitze, Kälte, Regen, Räubern und vor neugierigen Blicken zu bieten. Alles andere ist romantisches Spinnengewebe“. Der Stuttgarter Architekt Paul Bonatz stellte sich damals gegen diese moderne Auffassung der Avantgardisten und berief sich auf John Ruskin im 19. Jahrhunderts, der sagte, der Zweck eines Gebäudes sei, „daß Häuser uns Schutz bieten, Erinnerungen in uns wecken UND daß sie zu uns sprechen“.
Nicht nur beim Bau der Mädchenschule in Göppingen hatte Paul Bonatz dies bewiesen, indem er Zweck und Schönheit zugleich gerecht werden wollte. Er brach mit der Imponierarchitektur des damaligen Schulbaus, ließ seine Fassaden „liebenswürdig“ anmuten und versah sie mit „zarten Details“. Er löste Fassadensymmetrien durch einseitige Anbauten auf, verwendete unterschiedliche Fensterformate (leider sind die originalen Fensteraufteilungen im Altbau nicht mehr vorhanden) und schaffte so Häuser, die wie gewachsen aussehen sollten. Die Sprache seiner Schulhausfassaden sollte auf diese Weise den Schülern die Schwellenangst nehmen, die Sprache seiner qualitätsvoll gestalteten Treppenhäuser sollte ihnen vermitteln, daß sie hier in besonderen Raumgefügen würdevoll empfangen werden und die Sprache der liebevoll detaillierten Ausschmückung von Kommunikationszonen im Innenbereich sollte den Schülern ein Gefühl von Wertschätzung geben.
Wenn man sich heute -100 Jahre später- beim Weiterbauen des Mörike-Gymnasiums auf wesentliche Grundsätze der bonatz’schen Lehre zurückbesinnt, so muß dies nicht als Historismus bewertet werden, sondern als Gewinn für ein neues Bauen, das der Spektakelarchitektur mit ihren Blobbs, Eiern und Scherbenhaufen absagt.
Dabei ist es hilfreich, sich zu erinnern, daß Paul Bonatz Bauten geschaffen hat, die mit ihrer Umwelt korrespondieren und sie dadurch verbessern, daß seine Häuser Beziehungen mit ihrem Umfeld eingehen und dadurch fähig sind in einem gebauten Zusammenhang städtebaulich zu kooperieren und daß sie dabei Dominanz zeigen, ohne gegen die Nachbarn in den Einzelkampf ziehen zu müssen.
Der neue Baukörper des Erweiterungsbaus für das Mörike-Gymnasium reagiert deshalb auf Lage, Geometrie, Konturen und Volumenverteilung der benachbarten, vorhanden Baukörper und nimmt zu ihnen Beziehung auf. Das neue Schulhaus bietet an der Ecke Lutherstraße/Östliche Ringstraße von der Kreuzung abgerückt mit seiner Dreigeschossigkeit den höchsten Gebäudeteil an, um sich damit auf der einen Seite dem Maßstab der Villenbebauung anzupassen und andererseits gleichzeitig der zurückgesetzten Lage der Stadthalle gerecht zu werden. Mit einem eingeschossigen Vorbau an der Östlichen Ringstraße werden zusätzlich Fluchten und Kanten der Wohnhausbebauung mit seinen Nebengebäuden aufgenommen. Auf diese Weise verwebt sich der Neubau mit diesem besonderen Ort.
Die architektonische Haltung unterstützt das städtebauliche Konzept in seiner klaren und unmissverständlichen Ortsbezogenheit. Sie orientiert sich nicht am Zeitgeist, sondern an gestalterischen Merkmalen des bestehenden Schulgebäudes. Diese werden entdeckt, neu interpretiert und in ihrer wesentlichen Aussage wieder verwendet. Der Neubau ist deshalb als Massivbau mit einer Lochfassade konzipiert, fest mit dem Terrain verbunden und präzise in seiner Geometrie. Das äußere Erscheinungsbild nimmt mit seinem sandfarbenen Sichtmauerwerk und weißen Fensterprofilen Bezug auf die Farbigkeit der bestehenden Putzfassade. Das „zarte“ Detail entsteht hier in der Art der Mauerwerksausbildung, die von einem freien Rhythmus der abwechselnd verwendeten, unterschiedlichen Klinker- und Fugenstärken gezeichnet ist, was den Fassadeneindruck samten, atmosphärisch und lebendig macht.
Auch im Innenbereich werden Materialien in ihrer echten, natürlichen und handwerklichen Form eingesetzt. Das Material- und Farbkonzept ist gewollt reduziert und beschränkt sich im Wesentlichen auf Holz und Beton. Sichtbetonflächen sind mit Brettern geschalt, ihre Brettschalung macht die Oberflächen rau und lebendig.
Sämtliche Böden in den Erschließungsbereichen sind abgeschliffene Estriche, die zu ihrem natürlichen Zuschlag durch sandfarbene Kieseinstreuungen aufgewertet wurden. Dadurch stellen die Betonböden den farblichen Bezug zur sandfarbenen Klinkerfassade und den Holzeinbauten im Innenbereich her. Diese Eicheeinbauten, wie Fenster und Fensterleibungen, große Türelemente, Türschwellen und Raumverkleidungen werden im Kontrast zum gegossenen harten Beton nur an wichtigen Stellen und Zugängen verwendet. Sie werden dort eingesetzt, wo Orte veredelt und aufgewertet werden sollen und geben hier Wärme, Geborgenheit und machen weiches Licht. Auch die Flurausweitungen auf jedem Geschoss lassen besondere Rückzugssorte entstehen, die wie die „gute Stube“ mit Holz ausgekleidet sind. Den Schülern und Schülerinnen wird hier ein wertiger, eigener Ort als Kommunikationsfläche, für Kleingruppen und zum „Chillen“ angeboten.
In Anlehnung an die ovalen, ungewöhnlichen Treppen des Bonatzbaus, liegt das Augenmerk der neuen Treppenhäuser auf den Treppenaugen. Sie sind mit Beton skulptural ausgegossen und mit Naturholz an kommunikativen Stellen ergänzt, um diese aufzuwerten
Der Erweiterungsbau des Mörike-Gymnasiums bietet dem Nutzer Schutz vor Hitze, Kälte, Regen, Räubern und vor neugierigen Blicken. Durch zahlreiche Zitate aus dem städtischen Umfeld weckt das Gebäude allerdings auch Erinnerungen an besondere und liebgewonnene Merkmale dieses Ortes. Die Fähigkeit des Hauses zu uns zu sprechen hängt natürlich einerseits von der Fähigkeit des Betrachters ab, zu einer Salatschüssel, einem Weinglas oder einer geraden Linie eine Beziehung herstellen zu können, aber geschaffene Atmosphären können auch ohne Worte wahrgenommen werden.
Die Sprache dieser geschaffenen Atmosphären ist uns dann gelungen, wenn die reduzierte formale Haltung den Nutzern des Gebäudes im Chaos der reizüberfluteten Umwelt ein bißchen Stille geben könnte; wenn die Wertigkeit der verwendeten Materialien ein alternatives Erlebnis zum schnellen Wechsel von Moden und Befindlichkeiten sein könnte und wenn die geordnete Struktur des Hauses den Schülerinnen und Schülern ein bißchen Sicherheit, Halt und Orientierung in einer digitalen Welt vermitteln könnte.
Im Namen der Architekten möchte ich mich bei allen am Planungs- und Bauprozess Beteiligten bedanken:
- Dank der Stadt Göppingen als Auslober für einen Architektenwettbewerb, der uns Architekten die Möglichkeit gibt in faire und sachliche Konkurrenz zu treten und der Bauherrschaft die Möglichkeit gibt, unter Moderation einer Fachjury unter vielen Entwürfen den, für einen bestimmten Ort am Besten geeigneten Entwurf herauszufinden.
- Dank dem Gemeinderat für die konsequente Entscheidung, den empfohlenen 1. Preis auch zu bauen.
- Dank der Stadt Göppingen als Bauherrin, vertreten durch Herrn Oberbürgermeister Till und dem Referat Hochbau. In engster und intensivster Zusammenarbeit mit Herrn Gröger konnten konstruktive und vor allem nachhaltige Lösungen gefunden werden, bei denen der gesamte Lebenszyklus eine Gebäudes betrachtet wurde.
- Dank den Nutzern, den Rektoren Dr. Völl während der Planungsphase und Herrn Doosry während der Bauzeit, die mit Vertretern der Lehrerschaft ihre Interessen in einer Weise eingebracht haben, wie wir es selten erlebt haben, nämlich mit größtem Verständnis für ein gestalterisch stimmiges Gesamtkonzept. An dieser Stelle soll auch gesagt werden, daß wir auf Nutzerseite mit Herrn Hieber noch nie einen so tollen Hausmeister hatten.
- Dank der kooperativen Zusammenarbeit mit dem Team von Fachplanern, das man gerne gleich ins nächste Projekt mitnehmen würde.
- Der Dank an die Handwerksfirmen muß dieses Mal mit einem großen und uneingeschränkten Lob verbunden sein. Sicherlich auch bedingt durch die Möglichkeit der beschränkten Ausschreibungen hatten wir dieses mal KEINE schwarzen Schafe dabei.
Kürzlich wurde bei einem Befragungsprojekt von Handwerkern auf europäischen Baustellen unter anderem die Frage gestellt, wen sie gerne einmal einmauern und auf diese Weise beseitigen möchten.
„Whom would you like to wall up?“
Die Handwerker ließen ihrer Phantasie endlich freien Lauf und rechneten auf diese Weise mit Kollegen, Bauherrenvertretern, Planern oder mit ehemaligen Geliebten ab. Ein italienischer Handwerker wollte aus unerklärlichen Gründen die „schönste Frau der Welt einmauern“. Am Häufigsten wurde jedoch der Wunsch geäußert, Politiker und Architekten einzumauern.
Wir sind heute froh, daß wir alle – ob Handwerker, Bauherren, Planer, Frauen…Politiker oder Architekten … die Bauphase wohlbehalten überlebt haben …bedanken uns dafür …und würden jetzt gerne den symbolischen Schlüssel an die Bauherrschaft übergeben.
Danke