Lügen mit Zahlen - Veranstaltung mit Prof. Bosbach
Autor: ARND WOLETZ, aus der NWZ vom 02.12.2013
Wie man mit Zahlen lügt
Wie Politiker und Wirtschaftsleute mit Zahlen lügen, das zeigte Gerd Bosbach bei seinem Vortrag im Göppinger Mörike-Gymnasium. Die Veranstaltungsreihe "Querdenken ermöglychen" bot den Rahmen.
Der Vatikan ist die kriminellste Stadt der Welt. Zu der Aussage kann man kommen, wenn man die jährlich im Stadtgebiet begangenen Delikte pro Einwohner betrachtet. Diese Aussage macht aber genau so deutlich, wie problematisch der unreflektierte Umgang mit Statistiken ist. Denn im Falle des Vatikans wird ausgeblendet, dass es dort nur etwa 500 feste Einwohner gibt, dafür aber jährlich 1,8 Millionen Besucher. Professor Gerd Bosbach machte vor etwa 100 Mögy-Schülern, Eltern und Lehrern mit einer Fülle von Beispielen klar, welches die schlimmsten Fallen sind: Statistiken werden je nach gewünschter Zielrichtung verbogen. Und es gibt immer wieder Institutionen, die mit den Zahlentricksereien den reinen Eigennutz verfolgen. Das gilt für die angebliche katastrophale demographische Entwicklung wie vermeintlich schrumpfende Unternehmensgewinne.
Bosbach entlarvte Politiker als die häufige Quelle des statistischen Lügens: Sie verbreiten beispielsweise das Gerücht, dass es wegen der Überalterung nicht genügend Ärzte gebe, dabei liege es an der zu geringen Zahl an Studienplätzen. Die Politik mache uns mit Horrorzahlen zur gesetzlichen Rentenversicherung Angst, dabei sei nicht die Demographie schuld, sondern die gerechte Verteilung. Die Versicherungswirtschaft habe der Politik die untaugliche Riesterrente aufgeschwatzt, sagt Bosbach. Er hat auch ein Beispiel parat, das die Schulen angeht: Dreist, wie einst Peer Steinbrück als Hamburger Bildungsminister behauptete, man werde die Lehrerversorgung mit zusätzlichen 2000 Lehrern verbessern. Dabei gingen im gleichen Zeitraum 2200 Pädagogen in den Ruhestand.
"Aus Dummheit nachgeplappert"
INTERVIEW mit Prof. Gerd Bosbach
von NWZ-Redakteur ARND WOLETZ, (NWZ vom 02.12.2013)
Der Statistikexperte Gerd Bosbach erklärt, wie mit geschickt gestreuten Statistiken Angst geschürt wird und warum für den Schulunterricht ein wachsamer Umgang mit Zahlen wichtig wäre.
Herr Bosbach, lesen Sie überhaupt noch Zeitung und sehen fern?
GERD BOSBACH: Ja.
Dabei fallen doch auch Medien oft auf Zahlenmanipulationen herein. Wie kommt das?
BOSBACH: Im Alltagsgeschäft sind Journalisten manchmal überfordert, die Zusammenhänge richtig zu deuten. Ich veranstalte deshalb ja auch Workshops für Journalisten.
Warum muss man Zahlen mit Vorsicht genießen?
BOSBACH: Nehmen Sie als Beispiel die Gewinne großer Unternehmen. Ein bis acht Milliarden heißt es dann meistens. Aber das kann sich keiner vorstellen! 15 000 Euro pro Mitarbeiter Gewinn, wie im Schnitt der DAX-Unternehmen, dann wüssten wir Bescheid.
Ein Kapitel in Ihrem Buch beschäftigt sich mit der Frage, ob aus Dummheit oder böser Absicht getäuscht wird. Was überwiegt?
BOSBACH: Die Herausgeber der Zahlen haben fast immer bestimmte Absichten. Die, die die Zahlen ungeprüft weitergeben, plappern das oft aus Dummheit nach. Es gibt also mehr Dumme als Böse.
Das Schlagwort demographischer Wandel ist das Schreckgespenst. Sie widersprechen der Mär vom Aussterben der Deutschen. Warum hat die sich dennoch durchgesetzt?
BOSBACH: Aus mehreren Gründen: Erstens: Weil überhaupt nicht in die Vergangenheit geschaut wird. Unser Land hat ähnliche demographische Entwicklungen nämlich schon seit 1870 bestens überstanden. Zweitens werden die aktuellen Zahlen einfach über die kommenden 50 Jahre aufsummiert, und selbst kleine jährliche Änderungen wirken dann massiv. Außerdem gibt es viele große Gewinner an der Demografie-Angst. Und die haben sich bestens vernetzt und mit viel Geld an Öffentlichkeit und Politik gewandt.
Schulbücher sind oft voll von Statistiken. Aber werden die Kinder und Jugendlichen auch ausreichend unterrichtet, worauf es ankommt, um einigermaßen verlässliche und neutrale Zahlen zu bekommen?
BOSBACH: Der Umgang mit Zahlen in unseren Schulen ist zu abstrakt. Das bewirkt bei vielen Schülern die Einstellung "Das kann ich sowieso nicht". Zahlen prägen aber die Wirtschaft und sollten plastischer erklärt werden.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Abiturienten, die Prozent und Prozentpunkte unterscheiden können?
BOSBACH: Dazu gebe ich lieber keine Schätzung ab. Aber selbst "Jeder Vierte gleich 40 Prozent" bekommt man zu hören.