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Letzte Aktualisierung:10.12.2013
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Interview mit Frau Spiecker

Anja Schmid hat mit Frau Spiecker  nach ihrem Vortrag über ihre Thesen gesprochen. Das Interview erschien auch in der NWZ.

Wolfgang Schäuble sagte im Dezember 2012 zur Euro-Krise, dass das Schlimmste überwunden ist. Teilen Sie diese Meinung?

Friederike Spiecker: Leider nein. Die von Bundesfinanzminister Schäuble und vielen anderen Ökonomen vertretene Sparpolitik wird aus meiner Sicht nicht zu einem Ende der Krise führen.

Dann erscheint es Ihnen nicht als sinnvoll, wenn Griechenland seine Sparpolitik fort­führt?

Friederike Spiecker:

Ich befürchte, das brächte den Rest der Wirtschaft völlig zum Straucheln. Man sollte mit der Sparpolitik möglichst schnell aufhören. Griechenland geht es dadurch nicht besser. Im Gegenteil – Griechen­land  hat sich in eine Art Dritte-Welt-Land der EU verwandelt. Die Lebensbedingungen der Menschen in Griechenland verschlechtern sich von Tag zu Tag. 

Worin bestehen Ihrer Meinung nach die Gründe für die Krise?

Friederike Spiecker:

Viele Politiker sprechen von einer Staatsschuldenkrise. Sie führen die Ursachen der Krise auf die hohe Staatsverschuldung der Krisenstaaten wie Griechenland, Spanien und Portugal zurück. Dieser Position stimme ich nicht zu, denn das Hauptproblem der Krise ist die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Länder.

Können Sie das genauer erklären?

Friederike Spiecker:

Seit Einführung der Eurozone steigen die Handelsungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten. Deutschland erzielt hohe Handelsüberschüsse, während die südeuropäischen Län­der Handelsdefizite haben. Länder, die jedoch ständig mehr importieren als exportieren, machen zwangsläufig Schulden im Ausland. Diese Schulden sind für die Krise verantwort­lich. Deshalb spreche ich nicht von einer Staatsschuldenkrise, sondern von einer Auslandsschul­denkrise.

Wie kommen diese enormen wirtschaftlichen Ungleichgewichte zustande?

Friederike Spiecker:

Aus meiner Sicht ist Deutschland daran nicht unbeteiligt. Durch die im Vergleich zum Inflationsziel zu geringe Steigerung der Lohnstückkosten, vor allem bewerkstelligt durch den Ausbau des Niedriglohnsektors, hat Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit massiv gesteigert. Deutschland kann seine Waren billiger anbieten als die Konkurrenten aus den Euro-Staaten und erzielt dadurch hohe Exportüberschüsse gegenüber den anderen EWU-Ländern.

Haben Herr Schäuble und Frau Merkel dann nicht damit recht, dass die anderen EWU-Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls steigern müssen?

Friederike Spiecker:

Nein, denn daraus entstünde ein Wettbewerb der Nationen, der zu Deflation führt. Es ist eine Frage der Logik: Es können nicht alle wettbewerbsfähiger werden. Es ist wie im Theater: Wenn einer aufsteht, um eine bessere Sicht zu haben, gelingt ihm das, solange die andern sitzen bleiben. Sobald die anderen auch aufstehen, ist es mit der guten Sicht vorbei. Das bedeutet, dass die Entscheidung wettbewerbsfähiger zu werden, einerseits wirtschaftlich rational ist, andererseits ist eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit aller Länder gesamtwirtschaftlich gar nicht möglich. Wenn alle Staaten der EWU ihre Löhne drosseln, um sich dem deutschen Preisniveau wieder anzunähern, sinken die Einkommen und der Konsum nimmt dadurch ab. Die Folge wäre eine Rezession, wie wir sie in den südeuropäischen Krisenländern beobachten.

Was wäre ihrer Meinung nach ein Lösungsvorschlag für die Krise?

Friederike Spiecker: Die Lösung für die Euro-Krise liegt vor allem in Deutschland. Deutschland muss aufhören, seinen Niedriglohnsektor auszubauen, und einen Mindestlohn deutlich über zehn Euro die Stunde einführen, damit einerseits hierzulande ein stabiles Binnenwachstum in Gang kommt und andererseits die anderen EWU-Länder wieder wettbewerbsfähig werden können. Denn nur eine Erhöhung des Konsums und der Investitionen innerhalb Deutschlands ermöglichen es, dass unsere Wirtschaft eine Minderung der Wettbewerbsfähigkeit und damit eine Umkehr der Handelsbilanz verkraftet. Damit die Krisenstaaten ihre Handelsbilanzdefizite gegenüber Deutschland abbauen können, müssen wir unsere Handelsüberschüsse reduzieren und Handelsdefizite zulassen.

Welche Rolle nimmt dabei die deutsche Politik ein?

Friederike Spiecker:

Die deutsche Politik muss auf das Binnenwachstum setzen, das einzige stabile Standbein, das es für den Abbau der Arbeitslosigkeit gibt. Binnenwachstum setzt eine vernünftige  Stundenlohnentwicklung voraus, von der man sich hierzulande seit über zehn Jahren verabschiedet hat. Um die Dinge wieder ins Lot zu bringen, werden gut zehn Jahre benötigt.  In dieser Zeit müssen die Krisenstaaten von der EZB und den Krisenfonds über Wasser gehalten werden. Werden die Krisenstaaten weiter durch die Sparpolitik in die Deflation und damit in die Depression gezwungen, lösen wir die Krise nicht. 

Welche Gefahr sehen Sie in der Krise?

Friederike Spiecker:

Es ist zu befürchten, dass durch die Not, vor der viele Menschen stehen, der Nationalismus Auftrieb erhält. Dieser stellt eine Gefahr für den Frieden in Europa dar. Deshalb dürfen wir den bisherigen Weg so nicht weitergehen, sondern sind der jungen Generation eine Kehrtwende schuldig.